Der Spiegel erzieht die Menschen dazu, sich selbst zu belügen. Noch niemand hat vor dem Spiegel gebeichtet, noch keine Frau bekannt wie sie ist — selbst die schamloseste nicht. Es ist das Gegenteil eines Beichtstuhls oder Beichtvorgangs, hinter dem ein lebendes Ohr, ein Vergebender, ein alles Verstehender ist. Es hat keinen Sinn, dem Spiegel zu beichten. Wenn wir ehrlich vor ihm wären — er würde uns verlachen. Man möchte ihm zwar nichts verhüllen — aber man verhüllt sich, indem man vor ihm tritt.
Die Bewegungen und der Ausdruck des gespiegelten Menschen erreichen nie die Kraft, die Anmut, die Schönheit, deren der Mensch fähig ist. Der gespiegelte Mensch ist der Mensch in der Erkrankung seines Persönlichkeitsgefühls und in der Lähmung seiner Seele.
Sein Spiegelbild anzublicken — selbst mit der leisesten Hoffnung — ist der Sturz des Menschen in das wirklich Vergebliche, der Versuch eines neuen Sündenfalls: eine Frucht vom Baume der Erkenntnis zu essen, der keiner ist.
Menschen, die im Spiegel ihren aufrichtigen Freund sehen, haben keinen aufrichtigen Freund.
Im Spiegel liegt Torheit, Eitelkeit, Vergänglichkeit, Erstarrung, Mord jedes Gefühls, Selbstbetrug, Verachtung aller Wahrhaftigkeit — und in dir nur Schönheit, Liebe, Gefühl, Wahrheit, Erhöhung, Aufstieg, Beglückung.
Sage dir tausendmal, das Spiegelbild sei ein physikalisches, ein optisches Phänomen, ohne Bedeutung für dein Leben — ja, es dürfe keine Bedeutung gewinnen, so gewinnt es dennoch Bedeutung — aber es ist nicht die, die du meinst.
Das Spiegelbild ist das Bild der unzulänglichen Bürgerlichkeit und der verbürgerlichten Unzulänglichkeit — beides — in dem Umfang und in der Bedeutung, die diese Erscheinungen in ihrem Übergang und ihrem Ineinanderfließen zukommt.
Es gibt kein Volk, bei dem der Spiegel das bevorzugte Instrument des Mannes wäre.
Der Spiegel frißt Toren und speit Narren aus — war ein Sprichwort des Mittelalters.
UIT: Rudolf Georg Binding — DIE SPIEGELGESPRÄCHE — IV: Selbstgespräch (Dialoge 1932)
Overgenomen uit Nur noch die Liebe ist stark — Eine Auswahl, erschienen im Bertelsmann Lesering, 1955.
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Op 4 augustus jongstleden is het zeventig jaar geleden dat de Duitse dichter Rudolf Binding — die werd geboren op 13 augustus 1867 in het Basel — in het Beierse Starnberg overleed. Ondanks die Zwitserse geboorteplaats waren het Frankfurter achtergronden die zijn leven bepaalden, doordat zijn beide ouders daar vandaan kwamen. Vader Binding was gewoon hoogleraar Strafrecht aan de Universiteit van Basel. Dat beroep bracht nogal eens een verhuizing met zich mee en zo is die Rudolf in zijn jongste jaren en gedurende zijn jeugd uit Basel, via Freiburg en Straatsburg eerst in Frankfurt en vervolgens in Leipzig terechtgekomen.
Hij ging eerst rechten en vervolgens medicijnen studeren, maar maakte geen van beide af. Daarna ging hij in de paardenfokkerij en werd hij wedstrijdruiter. Voor zijn latere werkzaamheid als schrijver werd een reis naar Italië en Griekenland van doorslaggevende betekenis. Tijdens de Eerste Wereldoorlog was hij ritmeester en stafoffcier. Later vestigde hij zich als ongebonden werkend schrijver in en vlakbij Frankfurt am Main.
(wordt vervolgd)
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